Das Ende des Kapitalismus
Ulrike Herrmann beschreibt in Ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus“ wie die Klimakrise durch den Kapitalismus verursacht wird. Der Kapitalismus wird aus ihrer Sicht nicht durch die Gier der einzelnen Kapitalisten befeuert, sondern durch den Zwang zum Wachstum, der dem Kapitalismus immanent ist. Ohne Wachstum gibt es keinen Kapitalismus.
Durch das ständige Wachstum kommt die Menschheit mit der Umwelt zunehmend in Konflikt. Durch den zunehmenden Verbrauch von natürlichen Ressourcen kommt der Kapitalismus an sein Ende, so Ulrike Herrmann. Denn die Klimakrise fordert von uns, dass kein CO²-Überschuss produziert wird. Ständiges Wachstum ist nach Ulrike Herrmann nicht möglich ohne weiterhin zunehmenden Ressourcenverbrauch.
Ist grünes Wachstum möglich?
Grünes Wachstum, also ein Wachstum ohne Umweltzerstörung, ist aus Sicht von Ulrike Herrmann nicht möglich. Wir kommen demnach um Verzicht nicht herum. Und hier setzt meine Kritik an der in vielen Punkten bestechenden Analyse von Ulrike Herrmann an: Es ist unsere Aufgabe qualitatives Wachstum möglich zu machen. Mit qualitativem Wachstum ist gemeint: Mit geringerem Rohstoff-Verbrauch einen höheren Nutzen an Lebensqualität zu schaffen.
Wolfgang Mewes hat schon in den 70er Jahren mit seiner Mewes-Strategie aufgezeigt, dass in der Marktwirtschaft ein Zwang zur Lösung von Problemen „auf einer höheren Ebene“ besteht. Um einem ruinösen Wettbewerb über immer niedrigere Preis für austauschbare Produkte auszuweichen, müssen Produkte dem Kunden einen größeren Nutzen bieten. Der Wettbewerb um knappe Ressourcen zwingt zu Innovationen. Ohne Innovationen würde es zu einem Preiskampf mit ständig sinkenden Gewinnen und Löhnen kommen. Durch intelligentere Lösungen wird mit geringerem Rohstoff-Einsatz ein größerer Nutzen für die Kunden geschaffen.
In Ihrem lesenswerten Buch zeigt Ulrike Herrmann zwar auch auf, dass es durch Innovationen zu einer Effizienzsteigerung kommt. Sie meint aber, dass jeder zusätzliche Euro, den wir durch Ressourcen-Einsparung gewinnen, zu weiter steigendem Konsum und damit zu mehr Ressourcen-Verbrauch führen würde. Weiter steigende Gewinne führten zu zusätzlichen Investitionen – und damit zusätzlichem Ressourcen-Verbrauch.
Ulrike Herrmann kann sich nicht vorstellen, dass es qualitatives oder grünes Wachstum geben kann. Dabei gibt es jedoch viele praktische Beispiele: Ein Smartphone mit dem Gewicht von 400 g ersetzt: Ein Telefon, eine Stereoanlage, einen Wecker, eine Taschenlampe, einen Kompass, einen Computer, ein Diktiergerät, einen Fotoapparat, eine Videokamera, ein Navigationsgerät, ein Lexikon, usw. Stellen Sie sich all diese Geräte, CDs, Bücher etc. vor: Man kommt da schnell auf ein Gewicht von über 100 kg. Ein Mitarbeiter von Sony sprach schon in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts von der zunehmenden „Entmaterialisierung“ der Unterhaltungselektronik. Wolfgang Mewes hatte schon in den 70er Jahren von immer „immaterielleren“ Problemlösungen gesprochen.
Tendenz von materiellen zu immer immaterielleren Problemlösungen
Nach Wolfgang Mewes gibt es in der Marktwirtschaft eine immanente Tendenz von materiellen zu immer immaterielleren Problemlösungen. Er zeigt eine regelrechte Hierarchie von Problemebenen auf: Ganz unten befinden sich die materiellen Probleme. Die jeweils höhere Ebene ist zunehmend immaterieller.
Strategische Probleme: > Wie koordiniere ich meine Interessen mit den Interessen der menschlichen und natürlichen Umwelt?
Macht-Probleme: > Wie bekomme ich mehr Macht, wie reduziere meine Abhängigkeit?
Emotionale Probleme: > Wie gewinne ich die Unterstützung anderer? Wie vermeide ich Feindschaft?
Informations-Probleme: > Wie bekomme zuverlässige Informationen um Entscheidungen treffen zu können?
Finanzielle Probleme: > Wie bekomme ich genügend Geld zu günstigen Konditionen für Investitionen?
Wirtschaftliche Probleme: > Wie reduziere ich Kosten und erhöhe den Gewinn?
Technische Probleme: > Wie verändere ich Materie und Prozesse?
Materielle Probleme: > Wie komme ich benötigte Rohstoffe?
Vorindustrielle Agrar-Wirtschaft: Alles ist knapp
Vor der industriellen Revolution herrschten die materiellen Problem vor. Alle Rohstoffe waren knapp: Landwirtschaft und Bergbau waren die Quellen von Reichtum.
Industrielle Revolution: Durch die Lösung von technischen Problemen wird Kapital der knappste Faktor
Zurzeit von Marx im 19. Jahrhundert war durch die industrielle Revolution eine Fülle von technischen und wirtschaftlichen Problemlösungen entstanden, aber das Wachstum wurde durch finanzielle Probleme begrenzt. Zu seiner Zeit war Kapital der knappste Faktor. Der bürgerliche Kapitalist wurde mächtiger als der aristokratische Großgrundbesitzer. Der Großgrundbesitzer war in der vorindustriellen Zeit mächtig, weil er über den zur der Zeit knappsten Faktor Ackerland und Bergwerke und damit über Nahrungsmittel und Rohstoffe verfügte.
Im 20. Jahrhundert wurde die Nachfrage der knappste Faktor
Zurzeit von John Maynard Keynes in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts war das Kapital nicht mehr der knappste Faktor. Die der Marktwirtschaft innewohnende Dynamik hatte so viel Kapital geschaffen, dass Kapital nicht mehr knapp war. Doch die Kapitalisten und Politiker waren auf die Veränderung des knappsten Faktors nicht vorbereitet. Jeder Unternehmer, der aus der begrenzten Perspektive seines eigenen Betriebes an möglichst niedrigen Löhnen seiner Arbeiter interessiert war, drosselte dadurch das Wachstum der gesamten Wirtschaft. Keynes zeigte, dass höhere Löhne die Kaufkraft der Massen steigerte und deshalb gut für Wachstum waren. Da die Produktionskapazitäten schneller wuchsen als die Nachfrage, war zum ersten Mal in der Geschichte von allem mehr als genug vorhanden. Deshalb war die Nachfrage der knappste Faktor geworden.
Um die Nachfrage zu steigern waren höhere Löhne nicht mehr schädlich für höhere Gewinne. Im Gegenteil: In der Phase des Wirtschaftswunders in den 50er Jahren stiegen die Löhne und die Arbeitnehmer konnten immer mehr konsumieren. Die Reichen wurden reicher, aber auch den Armen ging es von Jahr zu Jahr besser. Begrenzender Faktor für weiteres Wachstum war nicht mehr die Fähigkeit, finanzielle Probleme zu lösen. Die Wirtschaft als Ganzes war so weit fortgeschritten, dass die Schaffung von neuem Bedarf durch Werbung und Marketing notwendig wurde. Schickeres Design, geschickteres Marketing und immer clevere Werbung waren Lösungsansätze auf der Ebene von Informations- und Emotions-Problemen.
Im 21. Jahrhundert ist die Umwelt der begrenzende Faktor
Inzwischen hat die Perfektion der Fähigkeiten im Bereich von Design, Werbung und Marketing dazu geführt, dass Umwelt der knappste Faktor geworden ist. Die Menschheit verbraucht zu viel Ressourcen und eine weitere Steigerung des Konsums stößt so an natürliche Grenzen. Wenn es uns nicht gelingt, den Ressourcen-Verbrauch zu drosseln, dann werden wir den Planeten unbewohnbar machen.
Die Wirtschaft hat also seit dem Beginn der industriellen Revolution für zunehmende Perfektion der Problemlösungen von der Lösung materieller Probleme über die Lösung technischer, wirtschaftlicher, finanzieller, Informations- und emotionaler Probleme zu immer höheren Problem-Ebenen hinaufentwickelt. Heute sind die Macht- und Strategie-Probleme die wichtigsten. Wenn wir es nicht schaffen, uns mit unseren Feinden an einen Tisch zu setzen und einen fairen Interessen-Ausgleich zu erzielen, dann wird die Erde für die meisten Menschen unbewohnbar werden.
Bis auf wenige Unverbesserliche wie Trump und Bolzonaro haben alle verstanden, dass die Erderwärmung nur durch einen drastischen Umbau der Wirtschaft gestoppt werden kann. Die Regierungen müssen sich darauf einigen, dass jedes Jahr weniger CO² verbraucht wird. Fossile Energie muss durch erneuerbare Energie ersetzt werden. Die Frage ist nur: Wie viel Zwang ist dafür notwendig? Optimisten gehen davon aus, dass eine zunehmende Verteuerung von CO² Produktion ausreicht. Pessimisten zeigen auf, dass die steigenden Benzinpreise keineswegs zu weniger Fahrten mit dem Auto geführt haben. Also meinen sie, dass alles, was schädlich ist, verboten werden muss. Sind wir damit zwangsläufig auf dem Weg in eine Öko-Diktatur?
Wie viel Zwang ist nötig, wie viel Freiheit ist möglich?
Ulrike Herrmann, die man in dieser Frage eher bei den Pessimisten einordnen kann, zeigt einen Mittelweg auf. Und zwar indem sie die britische Kriegswirtschaft als Modell vorschlägt. Die Britten hatten im 2. Weltkrieg von der Regierung aus festgelegt, was für den Sieg über Hitler-Deutschland produziert werden sollte. Rohstoffe wurden rationiert. Aber die Unternehmen konnten wie vorher Gewinne machen.
Je weniger die Wirtschaft fähig ist, Produkte mit viel Ressourcen-Verbrauch durch Produkte mit geringem Ressourcen-Verbrauch zu ersetzen, desto mehr Zwang wird notwendig sein. Deshalb muss praktisch jedes Unternehmen mit einem außerordentlichen Anstrengungen Problemlösungen schaffen, die möglichst immateriell sind. Statt möglichst viel Materie zu bewegen, um einen vergleichsweise geringen Nutzen oder Genuss zu bekommen, gilt es:
Den gleichen Nutzen oder Genuss mit deutlich weniger Material-Verbrauch zu bekommen.
Um ein Beispiel für eine immaterielle Problemlösung für ein Problem, was Millionen Menschen haben: Kopfschmerzen. Die materielle Lösung ist eine Kopfschmerz-Tablette: Es gibt aber viele immaterielle Lösungen: Sport, Meditation, Akupressur, etc. Regelmäßiges Jogging ist nachgewiesenermaßen ein Mittel, Kopfschmerzen gar nicht erst entstehen zu lassen. Aber es gibt noch viele andere Methoden, die sich bewährt haben. Ein gemeinsamer Faktor für alle Krankheiten ist Stress. Wenn Ursachen für Stress in den Betrieben systematisch untersucht und dann nach und nach systematisch abgestellt würden, dann würde das die Produktivität der Arbeit und die Lebensqualität verbessern, ohne dass mehr CO² verbraucht würde.
Der Mensch strebt nach Glück. Deshalb kann man ihm Verzicht nicht als etwas Erstrebenswertes verkaufen. Die Grünen haben das leidvoll erfahren: Als sie in den 80er Jahren einen Benzin-Preis von 5 DM forderten, hatten sie nicht nur die Bildzeitung und den ADAC gegen sich: Die Wähler haben sie abgestraft. Als sie später einen Veggie-Day in den Kantinen forderten, war der Aufschrei groß. Mit Aufforderungen zum Verzicht und mit Verboten gewinnt man keine Wahlen. Das haben sie inzwischen gelernt. Heute sehen sie keinen Widerspruch mehr zwischen Ökonomie und Ökologie. Wie die anderen Parteien setzen sie auf grünes Wachstum.
Es ist das Verdienst von Ulrike Herrmann, dass sie aufzeigt, wie ambitioniert es ist, bis 2050 die Wirtschaft auf klimaneutral umzustellen. Allein die Chemie-Industrie in Deutschland bräuchte für eine CO²-neutrale Produktion so viele Energie aus erneuerbaren Quellen wie der heutige Stromverbrauch Deutschlands. Selbst mit sehr viel Phantasie kann man sich schwer vorstellen, dass wir ohne ein Schrumpfen der Chemie-Produktion den notwendigen Umbau der Wirtschaft schaffen.
Trotzdem braucht jeder Unternehmer und jeder Arbeitnehmer eine Perspektive, die nicht aus Verzicht und Verboten besteht. Qualitatives Wachstum ist wegen der Verschiebung zu immer immaterielleren Problemlösungen, die in diesem Artikel aufgezeigt wurde, möglich. Es ist ein Trend, eine natürliche Tendenz. Diese Tendenz zu ignorieren bedeutet extremes Leid, vermutlich droht ein Zusammenbruch der Zivilisation.
Ob die ordnungspolitisch beste Variante, den Ressourcen-Verbrauch durch Steuern teurer zu machen, ausreicht? Das ist die Frage. Es könnte sein, dass wir nicht die Zeit haben, es auszuprobieren.
Das Forum Ökologisch-soziale Marktwirtschaft in dem pdf: Der Beitrag von Ressourcensteuern zu wirksamer Ressourcenschonung:
„Erfahrungen mit Primärbaustoffsteuern gibt es vor allem in Dänemark, Schweden und Großbritannien. Sie zeigen, dass Ressourcensteuern im Zusammenspiel mit anderen Politikmaßnahmen einen wichtigen Beitrag zur Schonung von Primärrohstoffvorkommen und zur mitunter deutlichen Steigerung der Verwendung von Recyclingbaustoffen leisten können. Eine Primärbaustoffsteuer könnte auch in Deutschland ein wirkungsvolles Instrument darstellen, um die Anreize für das Ausschöpfen von Ressourceneffizienzpotentialen beim Einsatz von Baumineralien in der Breite zu verbessern. Sie wäre vergleichsweise einfach zu implementieren, würde einen großen Teil des gesamten Ressourcenstroms abdecken und könnte einen Einstieg in eine umfassendere Ressourcenbesteuerung sein.“ |
In Großbritannien wurde demnach bereits 2008 mehr als doppelt so viel recyceltes Baumaterial hochwertig für Neubauten eingesetzt wie in Deutschland. Wenn man weiß, wie träge sich Systeme verändern lassen, dann kann man sich vorstellen, dass der Preis für Rohstoffe noch sehr viel höher werden muss, bis der letzte Unternehmer realisiert, dass die Umstellung auf ressourcenschonende Verfahren und Kreislaufwirtschaft sich lohnt.
Das wichtigste für einen erfolgreichen Umbau der Wirtschaft ist die Perspektive, dass man auch mit sehr viel weniger Ressourcen einen größeren Nutzen für die Kunden stiften kann. Und das geht nur über immateriellere Produkte. Wenn man dem Trend zu immer immaterielleren Problemlösungen nicht nur hinterherläuft, sondern bewusst in diese Richtung forscht und entwickelt.
Die in der Marktwirtschaft wirkenden „invisible hands“, die Tendenz dem mörderischen Wettbewerb über die „economy of „scale“ und Preiskampf auszuweichen durch einen Wettbewerb hin zu immer immateriellen und damit ressourcenschonenderen Lösungen, kann durch kluge Politik unterstützt werden. Aber wenn diese unausweichliche Tendenz bewusst von den Unternehmern erkannt wird, dann können wir die Klimakrise meistern. Das Bewusstsein ist der Schlüssel für die Bewältigung der der Krise: Jeder Unternehmer kann sich der Herausforderung stellen und die Entwicklung immateriellerer Produkte forcieren. Mehr dazu: Wie kann qualitatives Wachstum gelingen?